Damals war vieles
anders
Ein Rückblick auf
Anfang und Ende der landwirtschaftlichen Berufsschule im Kreis Ahrweiler
Peter Weber
Vierzig Jahre sind eine
relativ kurze Spanne im Zeitgeschehen. Dennoch kann eine solche Zeit Spuren
hinterlassen und vor allem auch Erinnerungen bei den Beteiligten von damals.
Damals, im November 1949, startete im Kreise Ahrweiler eine neuartige
Beschulung der aus der Volksschule entlassenen Jungen auf dem Lande. Falls sie
keine Berufsausbildung anstrebten, mußten sie die
landwirtschaftliche Berufsschule besuchen.
Voraussetzung für diese
Entwicklung war, daß die gesetzlichen Grundlagen
geschaffen, die erforderlichen Lehrkräfte ausgebildet waren und diese von der
Kreisverwaltung zum I.November 1949 angestellt
wurden. Der "Lehrplan für die Landwirtschaftlichen Berufsschulen für
Jungen in Rheinland-Pfalz", der im Amtsblatt des Ministeriums für Justiz-und Kultus-Hauptabteilung Kultus - von
Rheinland-Pfalz, Nr. 22, vom 5.12.1950 veröffentlicht wurde, beschrieb die
Hauptinhalte der einzelnen Unterrichtszweige: Landwirtschaftskunde,
Gemeinschaftskunde, Deutsch, Rechnen, Raumlehre, Zeichnen und Buchführung.
Ende der
Fortbildungsschule
Vor dieser Zeit des
Neubeginns waren die aus der Volksschule entlassenen Jungen auf dem Lande, die
im Elternhaus blieben, im Winterhalbjahr in den sogenannten
Fortbildungsschulen unterrichtet worden. Auf Grund der Verhältnisse nach dem
Zweiten Weltkrieg war der Anteil dieser Jugendlichen sehr hoch. Erst mußte die Wirtschaft in Gang kommen, bevor Lehrlinge, wie
es damals hieß, eingestellt wurden. Diejenigen, die eine handwerkliche
Ausbildung begannen, mußten im Sommer wie im Winter
täglich mit dem Fahrrad zum Ausbildungsbetrieb und zurück fahren, wenn dieser
nicht im Heimatort lag.
Die Fortbildungsschulen
waren aus den Sonntagsschulen hervorgegangen. Alle Schulpflichtigen hatten
diese Schule während zweier auf die Entlassung aus der Volksschule folgenden Winterhalbjahre nachmittags zu besuchen. Der
Unterricht umfaßte allgemeine Themen über Landarbeit
und den damit zusammenhängenden Bereichen des Rechnens und des Zusammenlebens
der Menschen. Er wurde von den örtlichen Volksschullehrern erteilt. Am Ende der
Schulzeit wurde ein Zeugnis ausgestellt.
Neues Schulsystem
Die Einführung des neuen
Schulsystems, das von verschiedenen Seiten angefochten wurde, bedeutete das
Ende der Fortbildungsschule. Trotzdem sprach man immer noch vom Besuch der
Fortbildungsschule, weil es sich so eingebürgert hatte, obwohl eine neue Ära
der schulischen Ausbildung für die Jugendlichen begonnen hatte. Es dauerte
lange, bis man sich mit dem Begriff Landwirtschaftliche Berufsschule abgefunden
hatte.
Alle vier frischgebackenen
landwirtschaftlichen Berufsschullehrer waren Fachleute. "Staatlich
geprüfte Landwirte". Heute werden sie "Agraringenieur" genannt.
Sie stammten aus dem Kreise Ahrweiler und wurden sämtlich angestellt. Die vier
Bewerber waren Kriegsteilnehmer und kriegsbeschädigt. Damals wurden die Ärmel
hochgekrempelt und mit viel persönlichem Engagement gings
an die Arbeit.
Die einzelnen Schulbezirke,
in die das Kreisgebiet aufgeteilt wurde, umfaßten
mehrere Gemeinden. Für diese mußte jeweils ein
Schulstandort festgelegt werden.
Schulstandorte waren u. a.
im Laufe der Jahre Hummel, Wershofen, Antweiler,
Schuld, Reif-ferscheid, Rodder,
Barweiler, Wiesemscheid,
Nohn, Nieder-, Oberzissen, Niederdürenbach,
Hain, Sinzig, Unkelbach, Nieder-, Oberbreisig, Schalkenbach,
Vinxt und Königsfeld.
Deshalb war es
erforderlich, daß die Berufsschüler wöchentlich einen
mehr oder weniger langen Schulweg zurückzulegen hatten. Das fand natürlich
wenig Gegenliebe. Damals gab es keine Busverbindungen. Im Elternhaus waren die
jungen Menschen als Arbeitskräfte sehr gefragt, denn Schlepper und Maschinen
fehlten. Außerdem wurde sowohl von den Lehrern als auch den Schülern Neuland
betreten. Hier und da war man deshalb sehr skeptisch.
Unterricht in einer Baumschule auf einer Lehrfahrt in den
50er Jahren.
Die Lehrer, alle aus der
Landwirtschaft stammend, ließen sich davon nicht beeindrucken. In
Bauernversammlungen kämpften sie gegen die Vorbehalte an. Mit ihren
Kleinkrafträdern waren sie Tag für Tag, bei Wind und Wetter, im Sommer wie im
Winter, zu den einzelnen Schulstandorten unterwegs. Wenn zur Winterszeit das
Fahren mit dem Krad unmöglich war, gingen sie am Vormittag von ihrem Wohnsitz
aus zu Fuß, um am Mittag, nach dem Ende des Volksschulunterrichts, am
Schulstandort mit dem Berufsschulunterricht beginnen zu können.
In der Dunkelheitam
Abend stapften dann Schüler wie Lehrer an den Winterabenden heimwärts, und zwar
auf dem kürzesten Wege durch Wald und Flur. Wenn Filmgeräte im Unterricht
eingesetzt wurden, mußten diese mit dem Fahrrad oder
Motorrad zum Schulort transportiert werden. Oft half
ein freiwilliger Helfer.
Von der damaligen Vergütung
sollte man am liebsten schweigen. Es gab zunächst Vorschuß
per Postbarüberweisung. Wer hatte schon ein
Bankkonto?
Ganzjähriger Unterricht
Da der Unterricht, im Gegensatz
zur Zeit der Fortbildungsschule, ganzjährig erteiltwurde,
gab es immerwieder Schwierigkeiten mit dem
Schulbesuch. Manche Schüler gingen auch, wenn das Wetter schön war, von zu
Hause fort, um sich dann irgendwo die Zeit zu vertreiben. Der Unterricht wurde
geschwänzt und an der Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern kamen
die Betreffenden vorbei. Später wird mancher ganz anders als damals über dieses
Schwänzen geurteilt haben, wenn es darum ging, mit Erlerntem etwas anfangen zu
müssen. Manche der damaligen Schüler haben den Sprung auf eine andere Ebene
gewagt und in vielen Berufen und als Selbständige große Erfolge erzielt.
Um die Schwierigkeiten bei
den allgemein üblichen Ferienterminen für die Landwirte mit Rücksicht auf die
Heu- und Hackfruchternte zu begrenzen, wurden Sonderferientermine eingerichtet.
Dadurch konnte den örtlichen Verhältnissen weitgehend Rechnung getragen werden.
Trotzdem war die
Ausfallsquote in den Sommermonaten relativ hoch. Die Väter gingen vielfach als
Bauhandwerker oder Straßenarbeiter einem Nebenerwerb nach und überließen
zeitweise wohl oder übel der Frau und den Kindern die Arbeit im
landwirtschaftlichen Betrieb.
Spielabende
Im Winter bedeutete der
Schulbesuch eine Abwechselung und man kam auch an der Stallarbeit am Abend des
Schultages vorbei, wenn man am Unterricht teilnahm. An den langen Winterabenden
suchte man sich mangels anderweitiger Betätigungsmöglichkeiten durch
Kartenspiel und Unterhaltungsspiele die Zeit zu vertreiben. Es gab kein
Fernsehen und niemand dachte daran in die Gastwirtschaft zu gehen. Das kostete
Geld und das war sehr knapp. Deshalb kam das Angebot gerade recht, in Barweiler abends nach dem Unterricht Spielabende
einzurichten. Landrat Dr. Schüling hatte in einem
Schreiben an die landwirtschaftlichen Berufsschullehrerdarauf
hingewiesen, daß sie sich in der Jugendarbeit
betätigen sollten. Die Schüler gingen nach dem Unterricht zunächst nach Hause,
halfen dort nach Bedarf und aßen ihr Abendbrot. Einige der Schüler brachten
zwischendurch Brennholz in die Gastwirtschaft, wo der Lehrer auf sie wartete.
Bei den Wirtsleuten hatte er in der Küche sein Brot verzehrt und kümmerte sich
dann um den Ofen in der Gaststube. Diese blieb während der Woche ungeheizt. Die
ersten Schüler, die zum Spielen kamen, halfen beim Umräumen der Tische und
Stühle. Eine Tischtennisplatte wurde aufgebaut und Spieltische zurechtgestellt.
Es gab keinen Alkohol. Wer hätte Geld dafür gehabt? Und dann begann das
Spielen. Man war mit Leidenschaft dabei. Der Lehrer machte keine Ausnahme. Alle
waren begeistert und vergaßen die Zeit. Mit diesen Spielabenden verbinden sich
bei allen Beteiligten die schönsten Erinnerungen.
Den Wirtsleuten muß man im nachhinein noch dankbar
sein, daß sie das alles mitmachten, den Lärm ertrugen
und zum Schluß auch noch den Schmutz wegfegten.
Noch heute existiert ein selbstgebasteltes Spiel, mit dem damals viele unbeschwerte
Stunden verbracht wurden. Das Spiel besteht aus zwei gleichgroßen kreisrunden
Sperrholzscheiben. Auf der unteren waren entlang des Außenrandes die Buchstaben
desAlphabetes aufgezeichnet. Die zweite Scheibe, aus
der am äußeren Rand eine Ecke in der Größe eines aufgezeichneten Buchstabens
ausgeschnitten war, war so über der ersten befestigt, daß
sie gedreht werden konnte. Alle Schüler saßen um einen großen Tisch und
warteten gespannt, bis die Kerbe der in Gang gesetzten oberen Scheibe über
einem .Buchstaben stehen blieb. Vorher war schon angesagt worden, was gesucht
wurde, z. B. ein Mädchenname mit ... Wer sich zuerst meldete, war Sieger. War ein
Schüler dreimal erster, erhielt er vom Lehrer ein Bonbon. Man versuche einmal,
sich Derartiges in der heutigen Zeit vorzustellen. Beim Tischtennis ging es je
nach Temperament der Mitspieler sehr lebhaft zu. Man war mit Begeisterung dabei
und manchmal lauter als es lieb war. Spät am Abend ging es dann durch den
Schnee heimwärts und man freute sich schon auf den nächsten Spielabend.
Mit den Jahren änderten
sich die Berufswünsche der Landjugend. Die Schülerzahlen in den
landwirtschaftlichen Klassen gingen zurück. Zwei Lehrer wurden versetzt. Immer
mehr landwirtschaftliche Betriebe gaben auf. Schließlich blieb noch einer der
Lehrer übrig. Die landwirtschaftlichen Berufsschüler wurden in Ahrweiler
unterrichtet.
Dann kam das Ende
Das Ende der
landwirtschaftlichen Berufsschule im Kreise Ahrweiler kam 1989. Nach dem
Ausscheiden des Kollegen Oberstudienrat Johannes Schumacher wurden noch bis
1989 an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Landwirtschaft, Weinbau
und Gartenbau in Ahrweiler 16 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.
Was vor mehr als vierzig
Jahren erfolgreich begann, mußte mangels Schülern
aufgegeben werden. Heutzutage werden die Schüler in Bad Kreuznach unterrichtet,
nachdem bereits vorher Blockunterricht eingeführt wurde. Die Schüler
absolvieren ihr Jahrespensum im Block, sie können ja nicht täglich zur Schule
nach Kreuznach fahren. Andererseits kann man versuchen, die Blöcke in
arbeitsärmere Zeiten zu legen, so daß der
Arbeitsausfall im Betrieb nicht so groß ist. Von Bedeutung ist, daß im Laufe der Jahre die Schüler im elterlichen Betrieb
eine Lehre absolvieren konnten, wenn der Betrieb und sie bestimmte Auflagen
erfüllten. Dann wurde die einjährige Fremdlehre eingeführt, die schließlich zur
vollen Fremdlehre führte. Wenn man die heutigen Verhältnisse mit denen aus der
Vergangenheit vergleicht, kann man mit Recht sagen, daß
damals fast alles anders war.
Bau von Nistkästen, Insul, Mitte
der 50er Jahre.